Manchmal überrollen sie uns. Manchmal halten sie sich versteckt. Und manchmal erscheinen sie uns einfach unlogisch. Gefühle – sie sind kraftvoll, intensiv, manchmal verwirrend. Gerade wenn wir das Gefühl haben, „zu viel“ zu fühlen, „falsch“ zu reagieren oder nicht mehr zu wissen, was eigentlich los ist, fragen wir uns: Wozu das alles? Wäre es nicht einfacher, weniger emotional zu sein?
Doch genau hier lohnt sich ein zweiter Blick. Denn Gefühle sind kein Fehler. Sie sind Teil unserer inneren Intelligenz – ein Wunder des Menschseins. Sie helfen uns, zu überleben, zu spüren, uns zu orientieren. Und: Sie haben einen ganz natürlichen Auftrag.
In der Beratung begegnen mir oft Menschen, die sagen: „Ich weiß gar nicht mehr, was ich eigentlich fühle.“ Oder: „Ich bin ständig genervt, aber eigentlich will ich das gar nicht sein.“ Hinter solchen Aussagen stehen häufig zwei Ebenen von Gefühlen, die wir unterscheiden können: primäre und sekundäre.
Primäre Gefühle sind unsere ursprünglichen, unmittelbaren Reaktionen auf das, was uns begegnet – wie Traurigkeit bei Verlust, Angst bei Gefahr, Wut bei Grenzverletzung, Freude bei Verbindung. Diese Gefühle sind biologisch angelegt, sie gehören zur Grundausstattung unseres Menschseins. Sie sind direkt, klar und meist nur von kurzer Dauer – wenn sie da sein dürfen.
Sekundäre Gefühle hingegen sind Reaktionen auf andere Gefühle. Sie entstehen oft durch unsere Prägungen, durch Erlebnisse oder durch den Umgang, den wir gelernt haben. So kann zum Beispiel aus Traurigkeit schnell Wut werden – weil Traurigkeit in der Kindheit nicht erlaubt war. Oder wir empfinden Schuld statt Wut – weil Wut als unangemessen galt. Diese Gefühle sind oft verwobener, länger anhaltend, manchmal auch schwerer greifbar.
Ein besonders intensives Gefühl, das oft in der Tiefe wirkt, ist Scham. Scham zählt nicht zu den sogenannten primären Basisgefühlen wie Freude, Angst oder Wut, sondern gilt als sekundäres oder komplexes Gefühl – weil sie nicht spontan aus einem Reiz heraus entsteht, sondern aus inneren Bewertungen, sozialen Normen oder dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Sie entwickelt sich meist erst im Lauf der Kindheit, wenn wir beginnen, uns durch die Augen anderer zu sehen. Gerade in intimen Beziehungen, wo Nähe, Verletzlichkeit und Echtheit gefragt sind, zeigt sich Scham besonders deutlich – als Rückzug, als Blockade, als innere Stimme, die uns sagen will: „So wie du bist, bist du nicht richtig.“
Gleichzeitig erfüllt Scham eine Schutzfunktion. Sie will Zugehörigkeit sichern, uns vor Ablehnung bewahren. Systemisch betrachtet ist sie ein Beziehungssignal mit hoher Bindungskraft – aber auch mit dem Potenzial zur Isolation, wenn sie nicht verstanden wird. In der Beratung schauen wir mit Feingefühl darauf: Welche Botschaft hat die Scham? Wofür will sie sorgen – und wie lässt sich eine andere Form von Sicherheit finden, die Verbindung ermöglicht?
Auch das Gefühl von Schuld spielt hier eine zentrale Rolle. Schuld kann, ähnlich wie Scham, tief wirken und ist oft verknüpft mit Verantwortung, Zugehörigkeit und moralischen Ansprüchen. Wir fühlen uns schuldig, wenn wir glauben, etwas falsch gemacht zu haben – sei es in der Partnerschaft, in der Familie oder im Beruf. Schuld kann dabei sowohl primär (z. B. echte Reue) als auch sekundär auftreten, etwa wenn wir übernommen haben, für das Wohl anderer zuständig zu sein. In der Beratung ist es hilfreich, Schuld achtsam zu betrachten: Wofür übernehme ich Verantwortung? Wo trage ich vielleicht mehr als mir zusteht? Und wie wäre es, sich zu erlauben, wieder in die Selbstachtung zurückzufinden, statt in Schuld zu verharren?
Wenn wir also in Konflikte geraten, uns unklar fühlen oder unsere Reaktion selbst nicht verstehen, kann es hilfreich sein zu fragen: Was liegt darunter? Was wollte sich vielleicht zuerst zeigen – und durfte nicht?
Jedes Gefühl hat eine Funktion. Trauer zeigt uns, dass uns etwas fehlt, das uns wichtig war. Angst schützt uns, indem sie uns auf mögliche Gefahren aufmerksam macht. Wut hilft uns, Grenzen zu erkennen und für uns einzustehen. Freude verbindet, überrascht, belebt. Und auch Ekel oder Scham – so unangenehm sie sein mögen – haben ihren Ursprung in Schutz und Zugehörigkeit.
Wenn wir Gefühle unterdrücken oder ignorieren, verlieren wir diesen inneren Kompass. Dann suchen sie sich andere Wege – manchmal durch körperliche Symptome, innere Spannungen oder destruktive Muster. Umso wichtiger ist es, sie wieder spüren zu lernen. Sie nicht als Störung zu sehen, sondern als Botschaft.
In einer Welt, in der oft Leistung, Kontrolle und Sachlichkeit zählen, erscheint Fühlen manchmal wie ein Umweg. Aber: Gefühle machen uns lebendig. Sie machen uns berührbar. Und sie helfen uns, in Kontakt zu kommen – mit uns selbst und mit anderen.
In meiner Arbeit geht es oft genau darum: wieder in Beziehung zum eigenen Fühlen zu kommen. Zu lernen, dass kein Gefühl falsch ist. Und dass jedes Gefühl – auch das vermeintlich „komische“ – etwas Wichtiges erzählt.
Vielleicht ist der Weg dahin manchmal unbequem. Vielleicht haben Sie gelernt, Ihre Gefühle lieber zu ordnen, zu vermeiden oder zu erklären. Aber vielleicht merken Sie auch: Da ist etwas, das sich zeigen möchte. Etwas, das endlich gespürt werden will. In der Beratung und auch Mediation nenne ich gerne die Momente, bei denen ein Spalt zu den Gefühlen sich öffnet, gerne die „Goldenen Momente“, da es meist genau dann zu einer Veränderung oder einem anderen Blick auf die vorrangig genannten Sachthemen kommt. Hier zeigt sich häufig ein Raum für Entwicklung.
In der systemischen Beratung interessiert uns nicht nur was gefühlt wird – sondern auch woher das Gefühl kommt, in welchem Beziehungskontext es entstanden ist und wohin es führt. Gefühle werden hier nicht als rein individuelles Geschehen verstanden, sondern als Teil eines größeren Zusammenhangs. Wenn wir Wut, Traurigkeit oder Scham erleben oder nur schwer Zugang dazu finden, lohnt sich also auch die Frage: Wer dürfte das in meinem Herkunftssystem nicht zeigen? Was wurde in meiner Familie über Gefühle gesagt – und was nicht? Und welche Rollen habe ich übernommen, um dazuzugehören?
Systemisch betrachtet sind Gefühle auch Beziehungssignale. Sie erzählen von inneren Bindungen, Loyalitäten, übernommenen Aufträgen – und können uns helfen, eigene Bedürfnisse wieder klarer zu erkennen. In der Beratung nutzen wir diese Perspektive, um mitfühlend und zugleich klärend auf das eigene emotionale Erleben zu schauen.
Ich begleite Sie gern auf diesem Weg. Mit Raum für das, was gerade ist. Ohne Bewertung. Ohne Eile. Dafür mit Respekt vor Ihrer inneren Bewegung.
Gefühle haben ihre eigene Logik – und oft auch eine Geschichte. Wenn wir sehr intensiv oder „unpassend“ reagieren, kann das ein Hinweis auf ein altes Gefühl sein, das sich Gehör verschafft. In der Beratung schauen wir gemeinsam darauf, was sich zeigen möchte – und was vielleicht lange keinen Raum hatte.
Auch Leere ist ein Gefühl – oft ein Schutzmechanismus. In der systemischen Arbeit gehen wir achtsam damit um und suchen nach dem, was dahinter liegt: Welche Gefühle durften vielleicht lange nicht da sein?
Primäre Gefühle sind direkte, unmittelbare Reaktionen auf eine Situation (z. B. Angst bei Gefahr). Sekundäre Gefühle entstehen als Reaktion auf andere Gefühle oder im Zusammenhang mit erlernten Mustern (z. B. Schuld statt Wut, weil Wut nicht erlaubt war).
Indem wir einen geschützten Raum schaffen, in dem Gefühle willkommen sind. Durch gezielte Fragen, Resonanz und das Erforschen von Beziehungsmustern entsteht oft ein neuer Zugang zum eigenen Erleben.
Ja, das ist sogar sehr häufig. Gerade wenn Gefühle in der Vergangenheit wenig Raum hatten, entwickeln wir Strategien, sie zu vermeiden oder zu übergehen. Gemeinsam finden wir Worte für das, was da ist – manchmal ganz leise, manchmal überraschend klar.
Gefühle sind kein Umweg. Sie zeigen, was uns wichtig ist. Sie schützen, verbinden, warnen, berühren. Wenn wir lernen, sie als Wegweiser zu lesen, gewinnen wir nicht nur Klarheit – sondern auch Zugang zu Kraft, Lebendigkeit und Beziehung.
Scham ist ein stilles, oft tief verwurzeltes Gefühl. Sie zeigt sich meist nicht laut, sondern als Rückzug, innerer Druck oder das Gefühl, „nicht richtig“ zu sein. Auch wenn kein äußerlich klarer Anlass sichtbar ist, hat Scham oft eine Geschichte – geprägt von Erfahrungen, Erwartungen oder dem Wunsch nach Zugehörigkeit. In der Beratung schauen wir gemeinsam achtsam auf die Botschaft hinter der Scham: Was will geschützt werden? Welche innere Grenze meldet sich? Und wie kann eine neue Form von Sicherheit entstehen – ohne dass Sie sich verstecken müssen?
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