„Er müsste das doch selbst sehen!“ – sagt sie. „Immer bin ich die, die alles organisiert und für alle mitdenkt.“ Neben ihr sitzt er, leise, betroffen. „Ich versuch’s ja, aber es ist nie genug.“
So oder ähnlich erleben viele Paare ihre Gespräche. Sie drehen sich im Kreis, erschöpft, verletzt, festgefahren. Und oft bleibt das Gefühl: Der andere versteht mich einfach nicht. Müsste er nicht merken, wie es mir geht?
Wenn wir ehrlich sind, hoffen wir oft, dass der andere sich ändert. Mehr sieht. Mehr gibt. Mehr versteht. Aber vielleicht ist genau das der Punkt, an dem wir innehalten dürfen.
Was, wenn es nicht immer darum geht, dass sich jemand verändert? Sondern darum, dass wir beide wieder mehr verstehen, wer wir sind – und was uns ausmacht?
Viele Menschen glauben, dass gute Beziehungen sich leicht anfühlen. Dass es sich fügt, wenn es passt. Dass es so weitergeht wie in der Zeit der ersten Verliebtheit. Man findet den anderen Menschen toll, spannend und inspirierend. Doch echte Beziehungen sind lebendig. Und lebendig bedeutet: Reibung, Spannungen, Unterschiedlichkeit. Besonders dann, wenn der Alltag laut ist und echte Zweisamkeit selten wird.
Der US-amerikanischer Paar-, Sexual- und Traumatherapeut David Schnarch – und einer meiner großen Vorbilder als Paar- und Sexualberaterin – bringt es auf den Punkt:
Wahre Nähe entsteht nicht dadurch, dass wir gleich werden. Sondern dadurch, dass wir verschieden bleiben dürfen – und trotzdem verbunden sind.
Was bedeutet das für den Alltag? Dass es okay ist, anders zu sein. Dass wir nicht alles gleich empfinden oder gleich brauchen. Und dass wir trotzdem ein Paar sein können – wenn wir einander wirklich begegnen. Man kann auch sagen, uns im Anderssein aushalten. Denn: Fanden wir das nicht gerade mal sehr reizvoll?
Gerade in der Familienphase merken viele Paare, dass sich etwas verschiebt. Die Aufgaben wachsen, die Verantwortung auch. Zeit zu zweit wird selten. Und plötzlich sehen wir uns selbst nicht mehr.
Die eine denkt für alle mit, der andere versucht zu funktionieren. Beide sind müde. Beide wollen gesehen werden. Und beide haben das Gefühl: Ich bleibe allein mit dem, was mich bewegt.
Was, wenn wir hier anfangen? Nicht beim anderen. Sondern bei uns selbst. Bei dem, was uns fehlt. Bei dem, was wir uns wünschen. Und auch bei dem, was wir vielleicht nicht mehr aussprechen, weil wir denken: „Das bringt ja eh nichts.“
In der Beratung erlebe ich oft Paare, die sehr unterschiedlich ticken. Der eine braucht Struktur, die andere Freiheit. Eine will reden, der andere erst mal nachdenken. Früher spannend – heute anstrengend.
Doch genau darin liegt auch eine Chance: Wenn wir lernen, Unterschiede nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Erweiterung. Wenn wir aufhören, den anderen zu „optimieren“, und anfangen, ihn wirklich zu sehen. Nicht als Projekt. Sondern als Mensch. Dann kann viel Nähe entstehen und auch Ruhe in uns.
Klar, das ist schwer, da über seinen Schatten zu springen, den anderen nicht maßregeln zu wollen und doch nur X oder Y von ihm zu wollen. Dies ist eine große Lernaufgabe. Und es bedeutet auch nicht, dass der oder die eine immer alles einfach machen muss.
David Schnarch spricht viel von emotionaler Selbstregulation. Klingt technisch, ist aber zutiefst menschlich. Es meint: Ich kann meine Gefühle halten. Ich muss sie nicht über dich klären. Ich darf sie haben – ohne dass du sie wegmachen musst.
Das ist kein Rückzug. Sondern ein Reifeschritt. Und oft auch ein Liebesbeweis: Ich mute dir meine Gefühle zu – ohne sie dir um die Ohren zu hauen.
Wenn einer anfängt, sich selbst besser zu verstehen, zieht der andere oft mit. Nicht, weil er muss. Sondern, weil es plötzlich wieder Raum gibt. Raum für Begegnung. Raum für Veränderung – ohne Zwang.
Viele Paare kommen zu mir, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Wenn das Gespräch nur noch Streit oder Schweigen bringt. Und oft fragen sie sich: „Bringt das überhaupt was?“
Meine Antwort: Es bringt Klarheit. Nicht immer sofort Lösungen, aber neue Sichtweisen. Und manchmal reicht das schon, um einander wieder zu spüren. Manchmal ein Blick zurück, wo das Paar mit aller Verliebtheit herkam.
Paarberatung ist kein Urteil. Sie ist Einladung. Zum Nachfragen. Zum Zuhören. Zum neu Hinsehen.
Wir sind nicht gleich. Und das müssen wir auch nicht sein. Was wir brauchen, ist Verbindung – keine Perfektion. Und manchmal entsteht diese Verbindung genau dann, wenn wir beginnen, über uns selbst nachzudenken. Uns selbst weiterzuentwickeln.
Nicht, weil wir falsch sind. Sondern weil wir lebendig sind.
Im Grunde nein und nicht dauerhaft. Und das ist auch gut so. Was wir aber können: Unsere Haltung verändern – und damit etwas im Miteinander bewegen.
Differenzierung heißt: Ich bleibe ich, du bleibst du – und trotzdem sind wir verbunden. Ohne uns aufzulösen oder zu verschmelzen.
Wenn ich meine Gefühle selbst regulieren kann, entlaste ich die Beziehung. Ich mache den anderen nicht zum „Verantwortlichen“ für mein Innenleben. Das heißt nicht, dass es dann keinen Raum gibt, Emotionen und auch Leid miteinander zu teilen.
Nein. Oft hilft sie gerade dann, wenn noch etwas zu retten ist oder eine Weiterentwicklung in der Beziehung gewünscht ist. Sie ist keine Notaufnahme, sondern ein Ort für Entwicklung.
Unterschiede müssen kein Problem sein. Sie können bereichern – wenn man lernt, damit umzugehen. Das Paar definiert, was die Basis der Beziehung ist und sie trägt, beispielsweise gemeinsame tragfähige Werte.
Indem Sie innehalten, zuhören, sich spiegeln lassen. Oft braucht es dafür einen geschützten Raum – wie in der Beratung.
Sie gewinnen Klarheit, Selbstvertrauen und Verbindung. Mit sich. Und oft auch wieder mit Ihrem Gegenüber. Sie halten die Fäden für sich in der Hand und gestalten. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, Sie werden freier.
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